Parenting Level: Pubertät Deluxe

Pubertät ist kein Netflix-Drama, das wir einfach überstehen müssen. Es ist die entscheidende Staffel, in der sich unsere Lieblingscharaktere weiterentwickeln und langsam zu sich selbst finden. Und ja, ich meine genau diese seltsame Lebensphase zwischen 13 und 19, in der plötzlich alles Kopf steht: Hormone, Freundschaften, Selbstbild, Zukunftsträume. Für unsere Kinder ist das die prägendste Phase ihres Lebens. Für uns Erwachsene oft nur „eine schwierige Phase“.

Doch genau da liegt der Fehler. Wir tun so, als wäre Pubertät ein nerviger Zwischenstopp, den wir möglichst schnell und unbeschadet hinter uns bringen müssen. Aber diese Zeit ist kein Durchgangsverkehr – sie ist ein kompletter Umbau, in dem sich das Gehirn neu sortiert.

Der präfrontale Cortex, zuständig für Planung, Risikoeinschätzung und Impulskontrolle, ist in dieser Zeit noch im Aufbau und bleibt es bis etwa Mitte zwanzig. Das bedeutet: Entscheidungen fühlen sich existenzieller an. Emotionen schlagen stärker durch. Risiken wirken reizvoller und Belohnungen intensiver. Hormone wie Dopamin und Serotonin fahren Achterbahn, während wir Eltern daneben stehen und so tun, als wäre das alles ein persönlicher Angriff. Ist es aber nicht. Es ist Biologie.

Kein Wunder also, dass wir als Eltern oft an unsere Grenzen stoßen. Hinzu kommt, dass wir selbst nicht dazu erzogen worden zu verstehen, sondern zu funktionieren. Als Millennials sind wir mit der klaren Ansage „Solange du deine Füße unter meinen Tisch stellst …“ groß geworden. Ein Satz, der uns tief geprägt hat. Viele unserer Eltern erklärten wenig und bestimmten viel. Sie fragten nicht groß nach, sie entschieden einfach. Hauptsache, das Kind „funktionierte“. Regeln waren selten Verhandlungssache. Und egal, was man angestellt hatte – am Ende gab es Fernseh- oder Telefonverbot. Manchmal beides. Meine Eltern waren da vergleichsweise locker, aber ich erinnere mich gut, wie viele meiner Freund:innen sich an Verboten abarbeiteten, die in erster Linie eines waren: willkürlich.

Heute sind wir selbst Eltern. Und oft frage ich mich, ob einige von uns vergessen haben, wie es ist, ein Teenager zu sein. Ob sie vergessen haben, wie es sich anfühlt. All die Schamgefühle, die erste Liebe, die Musik, die uns gerettet hat, das Gefühl, das Gefühl, niemand würde uns verstehen, und die Nächte, in denen wir zum ersten Mal dachten: So könnte mein Leben mal aussehen. 

Unsere Kinder sind keine Mini-Versionen von uns, die nur lang genug geknetet werden müssen, damit sie „besser passen“. Sie sind vielleicht ein Drittel Mama, ein Drittel Papa und ein Drittel etwas vollkommen Neues. Junge Menschen mit großen Träumen, eigenen Sehnsüchten, einer anderen Weltanschauung – eine, die wir gar nicht haben können, weil wir 20, 30 oder 40 Jahre älter als unsere Teenager sind.

Natürlich haben sie einen anderen Musikgeschmack (auch wenn wir heimlich noch immer glauben, dass die Hits unserer Teenagerzeit unantastbar sind). Natürlich kleiden sie sich anders, reden anders, träumen anders. Aber genau das ist der Punkt. Wenn mein Teenager einen Haarschnitt will, den ich furchtbar finde – was genau spricht dagegen? Außer meinem persönlichen Geschmack?

Pubertät bedeutet Abgrenzung. Kein Aufstand gegen uns, sondern der Versuch, die eigenen Konturen zu finden. Wer bin ich, wo fange ich an, wo höre ich auf? Wer sich nicht abgrenzen darf, kann kein stabiles Ich entwickeln. Nur wer ausprobiert, findet heraus, was möglich ist. Sie tun das nicht gegen uns – sie tun es für sich.

Unsere Aufgabe als Eltern ist nicht, unsere Kinder nach unseren Vorstellungen zu formen. Schon das Wort „erziehen“ klingt, als müsste man an etwas herumzerren, bis es passt. Unsere Aufgabe ist es, sie zu begleiten. Räume zu öffnen, in denen Fehler passieren dürfen. Ihnen ein Umfeld zu bieten, das nicht alles auffängt, aber alles aushält.

Regeln? Klar, die braucht es. Aber Regeln müssen Sinn machen. Sie sollen Kinder schützen – nicht unsere Bequemlichkeit. Eine Sperrstunde, weil es nachts draußen gefährlich sein kann? Fair. Ein Handyverbot, weil wir keine Lust haben, uns mit TikTok oder Gaming auseinanderzusetzen? Lazy Parenting. Grenzen setzen heißt: Sicherheit schaffen. Es heißt nicht: Macht ausüben, weil wir es können.

Eltern sind für beides zuständig – Wurzeln und Flügel. Wurzeln, damit Kinder Halt finden, auch wenn alles wackelt. Flügel, damit sie losfliegen können, selbst dann, wenn es dabei zu Bruchlandungen kommt. Wer seinen Kindern den Weg vorschreibt, weil „wir Erwachsenen besser wissen, wie der Hase läuft“, zieht brave, angepasste Erwachsene groß. Aber keine Menschen, die später eigene Entscheidungen treffen, die Haltung zeigen und Verantwortung übernehmen – für sich und andere.

Ich glaube, dass wir genauso viel von unseren Kindern lernen können wie sie von uns. Über Toleranz, Vielfalt, Offenheit. Über den Mut, die Welt nicht einfach zu akzeptieren, wie sie ist, sondern sie neu zu denken. Zu oft tun wir Dinge, weil wir „es schon immer so getan haben“ – oder weil sie uns in unserer Kindheit so vorgelebt wurden. Allzu oft reichen wir sie unreflektiert weiter, nur weil sie uns vertraut sind. Manche dieser Dinge sollten wir jedoch besser beenden, statt sie weiterzugeben.

Am Ende ist Elternsein kein Regiejob. Wir sind Teil der Serie. Die Geschichte läuft weiter, auch wenn wir nicht in jeder Szene mitspielen. Pubertät bedeutet Abgrenzung – auch für Eltern. Das ist der Moment, an dem wir uns fragen sollten: Wann ist der richtige Zeitpunkt, die Bühne zu verlassen? Und sind wir bereit dafür?

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